Die Verkehrswende erfordert neue Ideen – und neue Wege: Fahrradwege. Ein Fall für Johann Achziger beim Regierungspräsidium Stuttgart (RPS). Der Verkehrsplaner und Projektleiter im Referat 44 Straßenplanung ist aktuell dabei, neben den herkömmlichen Radwegen eine ganz neue Kategorie im Land zu etablieren: Radschnellwege, also hochwertige, direkte und möglichst kreuzungsfreie Radverkehrsverbindungen.
Ein leises Surren erfüllt die Luft über der Wildwiese am Neckar an diesem heißen Augusttag. Johann Achziger lässt mit einem Kollegen am gegenüberliegenden Ufer des kleinen Yachthafens Bad Friedrichshall eine Drohne fliegen, die Vermessungsdaten liefert. Denn genau hier ist ein neuralgischer Punkt der geplanten Radschnellverbindung RS 3 von Bad Wimpfen nach Heilbronn. Der bestehende alte Radweg, auf den der RS einmal aufsetzen wird, stößt einige Meter weiter auf ein ebenfalls in Planung befindliches Naturschutzgebiet. Kein Weiterkommen für den Radschnellweg, der deshalb per neuer Brücke über den Fluss geführt wird. Die Drohne erfasst wichtige Informationen für ihre exakte Berechnung, damit hier in Zukunft Naturschutz und Radverkehr gleichermaßen zu ihrem Recht kommen.
Johann Achziger
Verkehrsplaner
„Unser Ziel ist immer eine baureife Lösung vorzustellen.“
Demonstrationsstrecke schon befahrbar
Der RS 3 ist mit seinen künftig knapp 20 Kilometern eine von rund 20 längeren Strecken, die bis 2030 in ganz Baden-Württemberg vorgesehen sind. Wie sich so ein Radschnellweg fahren lässt, können Interessierte jetzt schon auf einem 1,3 Kilometer langen Demonstrationsstück zwischen den Ortschaften Reichenbach und Ebersbach im Filstal erleben. Auch Achziger war hier schon mit seinem eigenen Rad zu Testzwecken unterwegs. Der passionierte Radler kommt auch gerne mit dem Rad ins Büro. „Aber das war keine Einstellungsvoraussetzung für meinen Job“, erklärt er lächelnd. Der mindestens vier Meter breite, asphaltierte RS hat eine eigene Mittelstreifen-Markierung, außen einen weißen und einen grünen Seitenstreifen sowie ein zusätzliches grünes Fahrradschnellweg-Schild, das dem blauen Autobahnverkehrszeichen nachempfunden ist. „Für die Verkehrswende ist der umweltfreundliche Radverkehr wichtig. Daher müssen wir gute Angebote machen“, betont der Ingenieur für Verkehrsplanung. Radschnellverbindungen, die interkommunale Verbindungen darstellen, sind deshalb auch kreuzungsfrei gehalten, um schnell und sicher zur Arbeit zu gelangen. So können sie eine attraktive Alternative zum täglichen Pendlerverkehr mit häufigen Staus bieten.
Langer Planungsweg vor Radweg
Bevor allerdings aus roten Strichlinien in Gebietskarten echte Rad- oder Radschnellwege werden, läuft ein aufwendiger Prozess ab, bei dem es viel um Richtlinien und Detailarbeit geht. „Das Verfahren ist vergleichbar mit dem Bau einer neuen Landstraße, das auch seine Zeit dauert. Und außerdem ist jedes Projekt ein Unikat, da sich die Bedingungen vor Ort unterscheiden“, betont der 32-Jährige. Bauvorhaben wie der RS 3 werden dazu von der Vorplanung bis zum Planfeststellungsverfahren von seinem Bereich betreut. Eine gewissenhafte Arbeitsweise ist dabei selbstverständliche Voraussetzung. Es geht schließlich um größere Infrastrukturprojekte, auf denen sich Menschen bewegen, die sicher und komfortabel an ihr Ziel kommen wollen.
Im Detail bedeutet dies, Abwechslung ist vorprogrammiert. Büro- und Home-Office-Arbeit mit viel Planen inklusive rechtlichen Prüfungen, internen und externen Abstimmungen sowie Organisation und Durchführung von Informationsveranstaltungen für Bürgerinnen und Bürger bestimmt deshalb seinen nie gleichen Alltag. Achziger hat sich für diese abwechslungsreiche und komplexe Arbeit bewusst entschieden. Er ist zwar über kleine Umwege zu seinem jetzigen Beruf als Projektleiter für Radwege gekommen, aber schon seine Ausbildung zum Bauzeichner hatte einige Berührungspunkte zu seinen heutigen Aufgaben.
Nach seinem an die Ausbildung anschließenden Ingenieursstudium stand dann die Frage im Raum: Baupraxis oder Planung? Das zweite reizte Achziger mehr und nach einer mehrjährigen Station in einem Ingenieurbüro suchte er eine neue Herausforderung. Da kam ihm die Ausschreibung des Regierungspräsidiums Stuttgart Mitte 2021 zur Projektleitung in der Verkehrsplanung und der Wechsel in den öffentlichen Dienst gerade recht: „Ich wollte mit meiner Arbeit mehr für das Allgemeinwohl bewirken, als nur eine Leistung zu erwirtschaften, und das kann ich jetzt. Als Projektleiter begleite ich den gesamten Planungsprozess und sehe dann, wie das Resultat anderen Menschen nutzt. Davon profitiere ich auch wieder bei meiner nächsten Planung.“ Er ist noch nicht so lange beim RPS, konnte aber schon viel bewegen und hat den vollen Fokus auf seine Projekte. Wie es beruflich weitergeht, wird die fernere Zukunft zeigen: „Die Straßenbauverwaltung bietet mir eine Vielzahl an Möglichkeiten, mich gezielt weiterzuentwickeln.“
Vorzugstrasse nimmt Form an
Beim RS 3 befindet er sich mit seinem Team gerade mitten in der Entwurfsplanung, bei der die zuvor ermittelte Vorzugsvariante für die Radschnellverbindung zu einem Vorentwurf ausgearbeitet wird. Bei der Entscheidung über die Vorzugsvariante spielt auch immer die sogenannte Umweltverträglichkeitsstudie der Landschaftsplanung eine wichtige Rolle, denn sie ist das Hauptgutachten für die Variantenentscheidung aus umweltfachlicher Sicht (Link zur Reportage mit Frau Kimmich). „Wir setzen quasi vom Groben ins Feine um“, beschreibt Achziger die Vorgehensweise. Der Verlauf des RS 3 steht fest – allerdings gibt es noch einige weitere Verfahrensschritte zu durchlaufen bis zum Planfeststellungsverfahren, das dann das Referat 24 Recht, Planfeststellung im RPS übernimmt, und bis zur Vergabe, dem Bau und der Fertigstellung.
Aus dem Familien- und Freundeskreis kommen ab und zu auch Anregungen für Optimierungen von Radwegen in der Region. Der Verkehrsplaner nimmt auch diese Hinweise gerne auf, obwohl sein Hauptaugenmerk auf den Radschnellwegen wie den RS 3 liegt und für viele Radwege die Kommunen zuständig sind. „Unser Ziel ist, stets eine baureife Lösung vorzustellen, die keine Fragen für das weitere Verfahren offen lässt“, betont Achziger. Er ist stolz darauf, mit dem RS 3 einen weiteren Beitrag zur Verkehrswende zu leisten, und freut sich schon darauf, voraussichtlich 2028 die vollständige Radschnellverbindung unter die eigenen Räder zu nehmen.
Foto: ARTIS-Uli Deck, Ullstein