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Vielfalt im öffentlichen Dienst

Wo hoch hinaus normal ist

Mehr als 1.400 unter­schied­lichs­te Brücken hat Michael Lutz schon inspi­ziert. Jede hat ihre Eigen­hei­ten und beson­de­ren Punkte, auf die geach­tet werden muss. Es geht bei diesem Job um Wissen, Sorg­falt, Know-how, Detail­lie­be und vor allem um Sicher­heit – für unge­zähl­te Auto­fah­re­rin­nen und Auto­fah­rer, aber auch für Lutz selbst.

Vom Berg­stei­ger zum Höh­len­for­scher, von der höchs­ten Brücke Deutsch­lands bis zur kleinen Feldweg-Unter­füh­rung: Der Beruf von Michael Lutz hat viele Facet­ten. An diesem son­ni­gen Okto­ber­mor­gen um 6:30 Uhr steht für den stell­ver­tre­ten­den Sach­ge­biets­lei­ter Bau­werks­prü­fun­gen im Regie­rungs­prä­si­di­um Stutt­gart erstmal die Auf­trags­be­spre­chung an. Sein drei­köp­fi­ges Team startet mit der Haupt­prü­fung von zwei Auto­bahn­brü­cken an der A 81 sowie einer Brücke bei der B 27 im Land­kreis Lud­wigs­burg. BBBank-Info beglei­tet den heu­ti­gen Außeneinsatz.

Nach dem Anzie­hen seiner oran­ge­nen Schutz­klei­dung und einer kurzen Ein­wei­sung der Kol­le­gen von der Auto­bahn- bezie­hungs­wei­se Stra­ßen­meis­te­rei geht es los. Auf­sit­zen auf einem Kas­ten­wa­gen und einem Hub­stei­ger-LKW. „Heute passt auch das Wetter“, freut sich der 35-Jährige auf dem Weg zur ersten Brücke bei Höp­fig­heim, die Nutzern eines kleinen Wirt­schafts­wegs das Über­que­ren der sechs­spu­ri­gen Auto­bahn ermög­licht. Wobei die Wit­te­rungs­be­din­gun­gen für den Bau­in­ge­nieur grund­sätz­lich ver­nach­läs­sig­bar sind. Er ist aus seiner vor­he­ri­gen Aus­bil­dung zum Zim­me­rer so einiges gewohnt und schätzt die Abwechs­lung von Innen- und Außendienst.

Arbei­ten in acht Metern Höhe

Bei der Ankunft an der Brücke läuft ein gene­ral­stabs­mä­ßi­ges Manöver ab. Ein Ein­weis­fahr­zeug bleibt als Vor­war­ner schon weit vor der Brücke auf dem Stand­strei­fen stehen, um dem Verkehr die erfor­der­li­che Fahr­bahn­ver­en­gung zu signa­li­sie­ren. Dann parken zwei schwere LKW mit Anhän­gern als Siche­rungs­fahr­zeu­ge ver­setzt auf der zweiten und dritten Fahr­spur und schüt­zen so den Hub­stei­ger, der nahe der Brücke seine Posi­ti­on ein­nimmt. Der Fahrer lässt die metal­le­nen Stützen am Fahr­zeug aus­fah­ren, die Unter­su­chung kann starten. Lutz und sein Kollege steigen in den Korb des Aus­le­gers, legen sich die Siche­rungs­lei­nen an und lenken ihn ganz nahe an die Brü­cken­un­ter­sei­te heran. Dabei ruckelt der Korb immer wieder etwas und es ist auch ziem­lich zugig. Das hält die beiden Männer jedoch nicht von ihrer hoch­kon­zen­trier­ten Arbeit in gut acht Metern Höhe ab.

Personenbild

Michael Lutz

Bau­in­ge­nieur
„Mir ist es wichtig, etwas für die All­ge­mein­heit zu tun.“

Solche Ein­sät­ze weit oben und dazu noch im lau­fen­den Verkehr machen den Beruf des Brü­cken­prü­fers bezie­hungs­wei­se der Brü­cken­prü­fe­rin zu einem der gefähr­lichs­ten. Lutz und seine Kol­le­gen berei­ten jede Prüfung akri­bisch vor, um mög­lichst viele Risiken aus­zu­schlie­ßen. Auch wenn diese sich nicht gänz­lich redu­zie­ren lassen – Michael Lutz liebt seinen Job. Wichtig für Lutz ist auch, dass die Familie dem Bau­in­ge­nieur viel Rück­halt gibt: „Ich kann mich auf meine Frau voll ver­las­sen und die Kids finden gut, was der Papa macht.“ Zu dieser Akzep­tanz hat sicher auch bei­getra­gen, dass sich Lutz für seine Kinder Aus­zei­ten in Form von Eltern­zeit nehmen konnte und am Regie­rungs­prä­si­di­um Stutt­gart seine Arbeits­zei­ten fle­xi­bel gestal­ten kann.

An der Brücke ist jetzt Zeit für die Über­prü­fung. „Die ist ver­gleich­bar mit der Haupt­un­ter­su­chung beim PKW. Wir inspi­zie­ren die Brücken regel­mä­ßig alle drei Jahre. Ent­we­der steht dann eine ein­fa­che Prüfung oder eine Haupt­prü­fung an, die umfang­rei­cher ist. „Wichtig ist, dass wir ganz nah an die Brücke ran­kom­men. Die Details zählen“, erklärt Lutz. In der Praxis bedeu­tet das, dass er und sein Kollege die Brü­cken­un­ter­sei­te aus Spann­be­ton visuell auf der Suche nach kleinen Rissen unter­su­chen. Dazwi­schen klopfen sie auch Flächen mit dem Ham­mer­kopf ab, um ober­flä­chen­na­he Hohl­stel­len im Beton akus­tisch zu erken­nen. Auf­fäl­lig­kei­ten werden direkt in einem Pro­to­koll fest­ge­hal­ten und teils auch foto­gra­fiert. Auf diese Weise geht es Qua­drat­me­ter für Qua­drat­me­ter gewis­sen­haft weiter. Zusam­men mit An- und Abfahrt und einer Fuß­kon­trol­le der Brücke kommen so für eine Kon­trol­le schnell ein­ein­halb Tage Arbeits­zeit zusammen.

Genauso wie die Höhe muss ein Brü­cken­prü­fer auch Kel­ler­ge­ruch lieben. Bei der fast 80 Jahre alten Neckar­brü­cke an der A 81 zwi­schen Heil­bronn und Stutt­gart heißt es regel­mä­ßig wie ein Höh­len­for­scher in die Zie­gel­stein­ge­wöl­be der fünf Bögen zu steigen. Von oben hört Lutz dann ständig die darüber rol­len­den Fahr­zeu­ge als leich­tes Donnern, während er innen an einem zehn Meter hohen Gerüst in den ein­zel­nen Brü­cken­kam­mern nach oben steigen muss. Mit der Stirn­lam­pe auf dem Kopf geht es auf die Suche nach even­tu­el­len Beschä­di­gun­gen. Bei der 301 Meter langen Brücke dauert die gründ­li­che Unter­su­chung auf diese Weise etwa zehn Tage.

Lei­den­schaft unabdingbar

Eine gewis­sen Lei­den­schaft für Brücken ist bei diesem Beruf also erfor­der­lich. Bei Lutz zieht sie sich bis ins Private: „Ich über­prü­fe zu Hause schon mal auch spie­le­risch die Lego-Brücke der Kinder und im Skan­di­na­vi­en­ur­laub haben wir bei der bekann­ten Öre­sund­brü­cke zwi­schen Däne­mark und Schwe­den natür­lich kurz ange­hal­ten, um ein paar schöne Fotos zu machen.“ Und selbst­ver­ständ­lich hat er auch so etwas wie eine Lieb­lings­brü­cke. Die Abnah­me­prü­fung nach der Ver­stär­kung und Instand­set­zung der Kocher­tal­brü­cke bei Geis­lin­gen am Kocher, mit 185 Meter die höchste Brücke Deutsch­lands, ist bisher sein per­sön­li­ches Highlight.

Bei aller Begeis­te­rung für Brücken weiß Lutz jedoch genau, welche Ver­ant­wor­tung er mit seinem Beruf trägt: „Mir ist es wichtig, etwas für die All­ge­mein­heit zu tun und zum Thema Mobi­li­tät und Sicher­heit bei­zu­tra­gen.“ Dazu gehört für ihn auch, sein Wissen als Refe­rent gezielt wei­ter­zu­ge­ben – unter anderem im Aus­bil­dungs­zen­trum der Stra­ßen­bau­ver­wal­tung Baden-Würt­tem­berg in Nagold und an der baye­ri­schen Bau­aka­de­mie in Feuchtwangen.

Die Über­prü­fung der 700 Auto­bahn­brü­cken im Zustän­dig­keits­be­reich des Regie­rungs­prä­si­di­ums Stutt­gart geht 2021 – wie bei den drei wei­te­ren Regie­rungs­prä­si­di­en in Baden-Würt­tem­berg – an die Auto­bahn GmbH des Bundes über. Aber auch dann sind noch 2.050 Brücken an Bundes- und Land­stra­ßen in seinem Bereich – das soge­nann­te gelbe Stra­ßen­netz. „Jede von ihnen hat eine hohe Ver­kehrs­be­deu­tung, ins­be­son­de­re im Umkreis von Bal­lungs­zen­tren wie Heil­bronn und Stutt­gart“, weiß der Bau­in­ge­nieur. Die Arbeit geht Michael Lutz also bestimmt nicht aus. Auch heute nicht, denn jetzt müssen er und sein Team weiter zum nächs­ten Prüfkandidaten.

VOR 100 JAHREN:
VORRANG FÜR BAHNBRÜCKEN

Analog zum wenig aus­ge­bau­ten Ver­kehrs­netz spiel­ten 1921 auch der Bau und die Über­wa­chung von Brücken im Stra­ßen­ver­kehr nur eine geringe Rolle. Umso wich­ti­ger war aber schon die „Über­wa­chung und Unter­hal­tung von eiser­nen Brücken“ beim Eisen­bahn­netz. Als die Direk­ti­on der Württembergischen Staats-Eisen­bah­nen 1920 zur Reichs­bahn­di­rek­ti­on Stutt­gart umge­wan­delt wurde, war ihr Stre­cken­netz bereits 2.153 Kilo­me­ter lang.

Spe­zia­list unver­zicht­bar
Die württembergischen Züge fuhren in diesem Netz über etwa 2.000 Brücken im Land, deren Zustand schon nach einem ein­heit­li­chen Prüfungsverfahren – ähnlich wie heute – überwacht wurde. Ein­fa­che Jah­res­in­spek­tio­nen führten die Eisen­bahn­bau­äm­ter durch, genauer gesagt deren Betriebs­äm­ter und Bau­in­spek­tio­nen. Die alle fünf Jahre vor­ge­nom­me­ne Hauptprüfung der Bau­wer­ke lag jedoch in der Hand ein und des­sel­ben Beamten des Brückenbaubüros der Eisen­bahn-Gene­ral­di­rek­ti­on. In einem Artikel aus dem Zen­tral­blatt der Bau­ver­wal­tung von 1921 ver­tei­digt der württembergische Diplom­in­ge­nieur Arnold Neu­stät­ter diese Vor­ge­hens­wei­se gegen die Kritik eines Kol­le­gen aus Nord­deutsch­land, der die Prüfungen allein auf die Betriebs­äm­ter beschrän­ken wollte: „Die Nicht­be­ach­tung (bei den Jah­res­in­spek­tio­nen) vieler erst bei den Hauptprüfungen fest­ge­stell­ter Mängel kann nur darauf zurückgeführt werden, dass den mit der Unter­su­chung Betrau­ten die nötige Schu­lung fehlt.“ Ein Spe­zia­list, wie er auch heute noch als Brückenprüfer auf­tritt, war also auch damals schon unverzichtbar.

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