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Mit 140 Sachen bäuch­lings und kopf­über eine Eisbahn run­ter­ra­sen. Was ver­rückt klingt, ist ein tra­di­ti­ons­rei­cher Win­ter­sport: Ske­le­ton. Einer seiner erfolg­reichs­ten Ath­le­ten ist Chris­to­pher Gro­theer. Der Poli­zei­meis­ter aus Thü­rin­gen erzählt, wie er Sport und Beruf ver­bin­det, warum auch Nie­der­la­gen wichtig sind und was ihn nach all seinen Erfol­gen motiviert.

Am 11. Februar 2022 krönt Chris­to­pher Gro­theer eine beein­dru­cken­de sport­li­che Kar­rie­re: Mit seiner letzten Fahrt im Ske­le­ton-Wett­be­werb bei den Olym­pi­schen Win­ter­spie­len in Peking sichert er sich mit einer sou­ve­rä­nen Leis­tung die Gold­me­dail­le – und wird der erste deut­sche Ske­le­ton-Olym­pia­sie­ger. Begon­nen hatte er etwa 15 Jahre zuvor – mit einer anderen Sport­art. „Als ich fünf Jahre alt war, habe ich mit Ski­sprin­gen ange­fan­gen“, erzählt er. „Mir gefie­len der Zusam­men­halt und die Werte, die beim Sport ver­mit­telt werden.“ Gro­theer zeigt Talent und bleibt dran. Mit zwölf Jahren geht er auf das Sport­gym­na­si­um Oberhof, Eli­te­schu­le und Olym­pia­stütz­punkt, wo sport­lich beson­ders begabte Schü­le­rin­nen und Schüler geför­dert werden.

Über Ske­le­ton

Der moderne Ske­le­ton-Sport hat seinen Ursprung Ende des Jahr­hun­derts in der Schweiz. Betuch­te Gäste trugen an einem Steil­hang zwi­schen St. Moritz und Cresta Rodel­ren­nen aus. Diese „Cresta-Rennen“ sind bis heute Kult. Moderne Ske­le­to­nis – so heißen die Ath­le­tin­nen und Ath­le­ten – werfen sich bei Wett­kämp­fen mit Helm bäuch­lings und kopf­über auf einen ske­lett­ar­ti­gen Metall­schlit­ten und rasen Bob­bah­nen herab. Dabei werden sie bis zu 145 km/h schnell und müssen Kräften vom Fünf- bis Sechs­fa­chen der Erd­be­schleu­ni­gung widerstehen.

Mit 15 zeigt sich: Gro­theer ist zu groß und zu schwer zum Ski­sprin­gen. Sein Trainer schlägt ihm vor, Ske­le­ton zu pro­bie­ren. „Die suchten sehr ath­le­ti­sche Typen, das passte zu mir.“ Gro­theer macht einen Auf­nah­me­test und wird genom­men. „Ich fand Ske­le­ton sofort sehr auf­re­gend und span­nend“, erin­nert er sich. Bei seiner ersten Fahrt lässt der Trainer ihn auf der Bahn ab, sodass er nur eine kurze Strecke von weiter unten aus fährt. „Man ist am Anfang wie ein Pas­sa­gier, der keinen Ein­fluss auf die Fahrt hat. Man stößt gegen ein, zwei Banden, aber das ist nicht so schlimm, weil die Geschwin­dig­keit relativ gering ist. Irgend­wie kommt der Schlit­ten dann unten an und alles geht viel zu schnell, um zu ver­ste­hen, was da gerade pas­siert ist“, sagt er. „Aber man denkt sich: Ich will das sofort noch mal machen!“

Sport und Beruf verbinden

Seit 2010 ist Gro­theer Mit­glied der deut­schen Ske­le­ton-Natio­nal­mann­schaft. Nach seinem Abitur in Oberhof geht er für drei Jahre zur Sport­för­der­grup­pe der Bun­des­wehr. Danach ent­schei­det er sich für eine Kar­rie­re bei der Lan­des­po­li­zei Thü­rin­gen. Auch dort gibt es eine Sport­för­der­grup­pe, Gro­theer kann neben dem Beruf weiter Ske­le­ton trai­nie­ren und an Wett­kämp­fen teil­neh­men. Die Aus­bil­dung bei der Polizei dauert in der Sport­för­der­grup­pe vier statt zwei Jahre. Für Wett­kämp­fe gibt es eine Frei­stel­lung. „Seit 2020 bin ich Poli­zei­meis­ter, als Poli­zist gear­bei­tet habe ich in den letzten drei Jahren etwa ein Drittel der Zeit“, so Grotheer.

Für den lei­den­schaft­li­chen Sport­ler ist es ein großes Pri­vi­leg, bei der Polizei seinen Sport als Teil des Berufs ausüben zu können, so etwas gebe es in anderen Ländern nicht. „Mit Ske­le­ton lässt sich kaum Geld ver­die­nen, leben kann man davon nicht“, so der Olym­pia­sie­ger. Ihm sei wichtig, dass er eine Absi­che­rung hat. „Wenn ich fertig bin mit dem Sport, kann ich ganz normal als Poli­zist arbei­ten.“ Er kann sich gut vor­stel­len, dann weiter Kar­rie­re zu machen, zu stu­die­ren und zum Kom­mis­sar auf­zu­stei­gen. Aber das liegt in der Zukunft, erst einmal steht weiter sein Sport im Vordergrund.

Man muss sich die Bahn immer wieder neu erarbeiten.

Chris­to­pher Gro­theer, Skeleton-Olympiasieger

Nach einer Phase im regu­lä­ren Poli­zei­dienst beginnt für Gro­theer wieder die inten­si­ve Vor­be­rei­tung auf die nächste Saison. Eine Som­mer­pau­se gibt es nicht, Mus­kel­auf­bau und Schnel­lig­keit muss der Ske­le­to­ni auch ohne Schnee und Eis trai­nie­ren. Auf den Schlit­ten geht es wieder ab Oktober. „Man muss sich die Bahn immer wieder neu erar­bei­ten und die eigene Leis­tung immer wieder anpas­sen“, erklärt er. „Selbst für mich ist die Geschwin­dig­keit am Anfang der Saison beängs­ti­gend und die ersten zwei, drei Fahrten kosten Über­win­dung. Aber dann ist es wieder Routine. Eigent­lich ver­rückt, wie schnell man sich daran gewöhnt.“

Ver­ges­sen, wie es ist zu verlieren

Für die nächste Saison hat sich Gro­theer viel vor­ge­nom­men: „Dieses Jahr findet wieder eine Welt­meis­ter­schaft in Deutsch­land statt, in Win­ter­berg. Da will ich auf jeden Fall um den Titel mit­kämp­fen. Ich will noch mal Welt­meis­ter werden.“ Zuver­sicht schöpft er aus seinen bis­he­ri­gen Erfol­gen – aber auch aus seinen Miss­erfol­gen: So erreicht er Anfang 2023 bei der WM nur den neunten Platz. „Das war eine ganz große Ent­täu­schung“, erin­nert er sich. „Die letzten Höhe­punk­te davor habe ich alle gewon­nen, dar­un­ter die Gold­me­dail­le bei Olympia. Aber so ist Leis­tungs­sport, die anderen schla­fen nicht. Wenn man sehr erfolg­reich ist, ver­gisst man manch­mal, wie das ist zu verlieren.“

Des­we­gen sei diese Erfah­rung sehr wichtig für ihn gewesen. „Ich habe ver­sucht, aus meinen Fehlern zu lernen“, so Gro­theer. „Genau zwei Tage später bin ich dann mit Susanne Kreher Mixed-Team-Welt­meis­ter gewor­den, das war ein ver­söhn­li­ches Happy End.“ Sich zu moti­vie­ren, falle ihm nicht schwer, er sei schon immer „extrem ehr­gei­zig“ gewesen: „Früher war ich manch­mal zu ver­bis­sen und wollte Sachen erzwin­gen. Meine Erfolge haben mir dann eine gewisse Leich­tig­keit gegeben.“ Weitere Ereig­nis­se mit großem Ein­fluss auf ihn finden 2022 abseits der Bahn statt: Er wird 30, hei­ra­tet – und bekommt eine Tochter. „Jetzt sieht man, was wirk­lich wichtig ist im Leben. Und das ist halt nicht, dass man kopf­über einen Eis­ka­nal run­ter­fährt. Das bleibt ein wich­ti­ger Teil meines Lebens und ich liebe diesen Teil. Aber das Aller­wich­tigs­te ist, dass es der Familie gut geht.“

Sport­för­de­rung bei der Polizei

Sowohl bei der Bun­des­po­li­zei als auch bei den Lan­des­po­li­zei­en gibt es Sport­för­der­grup­pen. Spit­zen­sport­le­rin­nen und ‑sport­ler haben damit die Chance, eine Aus­bil­dung zur Poli­zis­tin oder zum Poli­zis­ten zu absol­vie­ren, in diesem Beruf zu arbei­ten und gleich­zei­tig aus­rei­chend Zeit zum Trai­nie­ren und für Wett­kämp­fe zu haben. Vor­aus­set­zung: Sie müssen zu einem Natio­nal­team aus einem Bun­des­ka­der gehören und von ihrem Sport­ver­band in Abspra­che mit dem Deut­schen Olym­pi­schen Sport­bund (DOSB) für eine der Sport­för­der­grup­pen vor­ge­schla­gen werden. Außer­dem müssen sie die regu­lä­ren Vor­aus­set­zun­gen für die Ein­stel­lung im Poli­zei­dienst erfüllen.

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