Für Meryem Schneider hat das bekannte philosophische Sprichwort von Konfuzius eine ganz reale Bedeutung. Die Diplom-Bauingenieurin arbeitet seit fast zehn Jahren in der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg. Straßen aller Art zu planen und umzusetzen ist ihr Metier.
Die Sonne brennt an diesem Augustvormittag um halb zwölf schon unbarmherzig auf den frischen Asphalt. 34 Grad, und es wird noch heißer auf der Baustelle zwischen grünen und braunen Feldern: An rund 1.500 Metern der L 1142 Hegnach – Waiblingen läuft die dringend erforderliche Erneuerung der Fahrbahndecke. Dafür ist die Landesstraße gut 14 Tage komplett gesperrt.
Statt dem normalen Verkehr haben 25-Tonner mit Spezialauflieger, Beschicker, Asphaltfertiger und Straßenwalzen das Kommando übernommen. Der Asphaltfertiger ist pausenlos im Einsatz. 580 Meter Binderschicht sind bereits eingebaut, knapp 1.000 Meter hat das achtköpfige Bauarbeiter-Team bis zum Feierabend noch vor sich. Mittendrin Meryem Schneider vom Regierungspräsidium Stuttgart, die sich als Projektleiterin vor Ort selbst ein Bild von den Fortschritten macht. Ein kurzes Gespräch mit der Bauleiterin der Baufirma zeigt: Es läuft. Die Hauptverantwortung auf der Baustelle liegt beim Besuch von BBBank-Info in weiblichen Händen – das ist im Straßenbau meist nicht der Fall. Meryem Schneider lächelt kurz: „Ich bin sehr zufrieden, wir liegen im Zeitplan. Das haben wir unter anderem der guten Vorarbeit von allen Beteiligten und der frühzeitigen Abstimmung zu verdanken. Und natürlich kommt uns auch das gute Wetter zugute und die Sommerferien, in denen weniger Verkehr ist.“
„Mach Dein Ding“
Mit der Arbeit in einem männerdominierten Beruf hatte die 36-jährige Mutter von zwei kleinen Kindern noch nie Probleme. „Mir war ziemlich schnell klar, dass ich eine Ingenieurwissenschaft studieren werde. Schon als Kind spielte ich gern mit Lego und hatte Spaß am Konstruieren und an Zahlen. Und meine Familie hat mich immer bekräftigt im Sinne von: Mach Dein Ding.“ Dazu kommt, dass das Regierungspräsidium Stuttgart als Arbeitgeber sehr viel Wert auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf legt: „Nach meiner Elternzeit war der Wiedereinstieg problemlos möglich. Mein Arbeitsplatz befindet in der Nähe meines Wohnorts und mein Mann und ich teilen uns die Kinderbetreuung und den Haushalt. Außerdem ist es generell möglich, in Teilzeit oder auch mal im Homeoffice zu arbeiten.“
Meryem Schneider
Diplom-Bauingenieurin
„Ich hatte schon als Kind Freude am Konstruieren und an Zahlen.“
Die Freude an Planungen und Zahlen aus Kindertagen sowie die Leidenschaft, Projekte voranzubringen und Verantwortung zu übernehmen, kann Schneider nun jeden Tag im Baubüro Waldrems ausleben, das sich in einem unscheinbaren ehemaligen Wohnhaus mit Anbau versteckt. Nur das Landeswappen an der Eingangstür verrät, dass es sich hier um einen Behördensitz handelt. Seit Mai 2019 leitet Meryem Scheider das Büro. Sie ist gerne draußen im Einsatz, aber viel mehr Zeit verbringt sie hier allein in ihrem kleinen Dachbüro oder gemeinsam mit ihrem fünfköpfigen Team über meterlangen Plänen. Genehmigte Vorhaben müssen baureif gemacht werden, um sie ausschreiben und vergeben zu können. Das ist auch an diesem Augustmorgen so, an dem sie erst noch einmal mit ihrem Team die Fakten der Sanierungsmaßnahme an der L 1142 im Büro checkt, bevor es die 20 Kilometer zur Baustelle geht.
Herausforderung Großbauprojekt B14
Die Asphalterneuerung ist eine kleinere Zwischenaufgabe bei der laufenden Umsetzung des Großprojekts, für die das Baubüro eigentlich nach Backnang-Waldrems gezogen ist: dem Neubau der B 14 zwischen Nellmersbach und Backnang-West, nördlicher Bauabschnitt. Hier geht es um 7,5 Kilometer zweibahnig ausgebaute Straße inklusive zweier großer Untertunnelungen. „Definitiv meine jobtechnische größte Herausforderung bisher“, ist sich Schneider sicher. „So ein Großbauprojekt zu übernehmen ist etwas Tolles, und die Chance erhält man nicht alle Tage.“
Sie freut sich deshalb auch darauf, wenn Anfang 2021 die Baumaschinen starten, denn als gebürtige Backnangerin hat sie zu dem Projekt einen ganz persönlichen Bezug: „Unter dem zugehörigen Murrtalviadukt habe ich schon als Kind gespielt. Das Bauwerk hat mich wegen seiner Größe unheimlich beeindruckt. Da habe ich schon in jungem Alter genauer hingeschaut, wie die Brücke eigentlich konstruiert ist.“
Dieses Interesse für Details hat sich bei Schneider bis heute gehalten. Der erfahrene Blick der Ingenieurin bleibt erforderlich, obwohl durch die Digitalisierung Daten und Prozesse genauer und schneller ausgewertet und beobachtet werden können. So ist die Straßensanierung der Landesstraße L 1142 gleichzeitig ein Pilotprojekt im Rahmen der landesweiten Maßnahme „Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0“. Schneider hält inzwischen ein kleines Tablet in der Hand: „Die Position der Asphalt-LKWs, die Asphalttemperatur, den Verdichtungsgrad – alles können wir mit einer speziellen App online überwachen. Abweichungen werden so schnell erkannt und korrigiert. Ziel der neuen Methoden ist, Baumängel zu reduzieren und die Erhaltungsintervalle von Straßen zu verlängern.“
In der Praxis zeigt sich diese Art des Qualitäts-Straßenbaus zum Beispiel dadurch, dass automatisch ein Signal an den Asphaltfertiger auf der Baustelle geht, wenn es beim Mischgut-LKW unterwegs Abweichungen von der geplanten Fahrzeit gibt. Dann fährt der Fertiger langsamer als die üblichen 3,5 Meter pro Minute, um nicht zu stoppen. So wird die Asphaltschicht unterbrechungsfrei eingebaut, was eine sehr gute Längsebenheit der Straße und damit die Qualität sichert.
Währenddessen zieht der Fertiger auch in der Realität wie gewünscht weiter seine Bahn. Bis heute Abend ist die Binderschicht komplett aufgebracht, morgen folgt dann noch die Deckschicht. Schneider liebt es, wenn Prozesse so funktionieren. Wenn von der Planung bis zur Übergabe der fertigen Straße an die Straßenbauverwaltung alles seinen Weg geht und sie am Ende den Verkehrsteilnehmern eine sanierte oder ausgebaute Straße zur Verfügung stellen kann. Hier bei der L 1142 und demnächst bei der B 14. Dafür macht sie diesen Job auch gerne noch länger.
VOR 100 JAHREN:
STRASSENBAU FÜRS PFERDEFUHRWERK
1921 gab es in der Weimarer Republik noch kein einheitlich ausgebautes Netz von Durchgangs- und Fernstraßen. Zudem war der Zustand vieler Landstraßen infolge des Ersten Weltkriegs erbärmlich. Das lag nicht nur an vernachlässigten Unterhaltsaufwendungen, sondern auch an der kriegsbedingten Umstellung der Lkws auf Eisenbereifung. Die verantwortlichen Länder, Kreise, Bezirke und Kommunen hatten also viel zu tun, um die überwiegend mit Schotter befestigten Straßen befahrbar zu halten.
Vorrang für „Flicksystem“
Für die Arbeiten am Straßennetz führte Württemberg 1885 die ersten Straßenwalzen mit Dampfantrieb ein. Walzen dieser Art waren auch noch in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts im Einsatz. Sie ermöglichten die Umsetzung des effektiveren „Decksystems“, bei dem die gesamte Fahrbahnbreite mit Schotter überdeckt und festgewalzt wurde. Bei mehr als 60 Prozent der Staatsstraßen kam in dieser Zeit aber auch noch das sogenannte „Flicksystem“ zum Einsatz. Schlaglöcher wurden nur punktuell mit Schotter aufgefüllt, den erst der darüberfahrende Verkehr verdichtete. Um die Jahrhundertwende waren über 1.000 Straßenwärter, die seit 1904 im Beamtenverhältnis standen, damit beschäftigt, die Straßen auf diese Weise instand zu halten. Bei den Staatsstraßen galt der ganze Einsatz übrigens weitgehend Pferden, denn Mitte der 1920er-Jahre dominierte auf vielen von ihnen noch der Fuhrwerksverkehr.